Wie alles begann...

(Veröffentlicht  2005 in „Unser Bocholt“)




Im Jahre 1985 trafen sich vier Menschen in der katholischen Familienbildungsstätte um an einem Rhetorik-Seminar teil zu nehmen. Diese Vier mochten sich gut leiden und besuchten  1991 einen Theaterkurs bei der VHS unter der Leitung von Jürgen Zauzig. Der führte bis1994 bei einigen Produktionen Regie und trat aus familiären Gründen zurück: Die Gruppe musste sich nun selbst organisieren.

Joachim Freund, einer der Hauptinitiatoren der Bocholter Bühne, die bis dahin unter dem Namen „Laienspielgruppe der VHS“ bekannt war, besuchte in diesem Jahr eine Produktion des Theaters „Freier Fall“, die im Klausenhof in Dingden gastierte. Die Vorführung dieser Kompagnie gefiel ihm so gut, dass er - 2 Monate später - der Stadt Bocholt, die sich auf der Suche nach einem Workshopleiter für Theater

Die Bocholter Bühne auf Baltrum  29.7.2003

befand, eben den Regisseur jenes Theaters „Freier Fall“ vorschlug.

So kam Ralf Melzow zum ersten Mal nach Bocholt - auf Einladung des Kulturamtes - und seine Arbeit gefiel den 18 TeilnehmerInnen, die fast ausnahmslos an der Produktion „Show Schau SoSo“ beteiligt waren. Helene Krüger rief nun in der regielosen Phase Ralf Melzow an und fragte vorsichtig nach, „ob er denn eine Regie kenne, die Lust habe nach Bocholt zu fahren.“   Da er die TeilnehmerInnen vom Workshop her in guter Erinnerung hatte, bot Melzow sich an, half bei „ShowSchau Soso“ aus und betreut seither die Gruppierung, die sich seit 1994 „Bocholter Bühne“ nennt.


Da die Bühne der Meinung war und ist, dass eine lebendige Kulturarbeit nur durch Gruppierungen „vor Ort“ erzielt werden kann, gab sie sich selbst diesen Namen.

Unter der neuen Leitung, die professionell mit verschiedenen Gruppierungen arbeitet und gearbeitet hat, entwickelte sich die Bocholter Bühne zu einem festen Bestandteil des kulturellen Lebens in Bocholt. Letzter Beweis, dass sich hier aus den einstigen Laien mittlerweile (semi-) professionelle Akteure entwickelt haben, war nicht nur im „Casanova“ von Jürgen Wessling zu sehen und publkiumsseitig zu hören.  (Bild Casanova)

Das Ensemble bestand seinerzeit aus festen Mitgliedern: Philip Küper, Heike Mecking, Dieter Skusa, Petra Ebbers, Jens Habers, Christiane Leiting, Stephan Pschenny, Helene Krüger, Jochen Freund, Rene Brunsch, Helena Tebroke, Hiltraud Ykelen, Conny Reuke, Birgit Wiemann, Kathrin Heidenreich, Tobias Schmeinck, Alex Küper, Simon Wendring und vielen Freundinnen und Freunden der „Bühne“, die aushelfen, wenn Hilfe gebraucht wird.



Plakat „Show, Schau, so, so,...“ 28.4.1994




In 1995 entwickelte die „Bocholter Bühne“ verschiedene Konzepte, die hier im Folgenden vorgestellt werden:

Pröbchen:
Es wurde zum ersten Male das „Pröbchen“ gezeigt. Hier werden in loser Reihenfolge Auszüge aus der aktuellen Probenarbeit gezeigt, mit Szenen, die das Publikum liebt, aber auch solchen, die aus Improvisationen zu bestimmten Themen entstehen. Diese Themen richten sich nach den aktuellen Weltereignissen wie Krieg und Hunger oder aber nach internen Themen: So wurde im Juli 2005 der Beginn der „Macbeth“ Inszenierungsarbeit gezeigt, die hoffentlich in 2006 realisiert werden kann. Ein Pröbchen ist geprägt durch ein offenes Regiekonzept. Entgegen anderen Inszenierungen, die teilweise die SpielerInnen sehr eng führen

Szenenphoto „Pröbchen 3“ 16.5.1999

, haben hier die SpielerInnen Gelegenheit sich auszutoben, vor dem Publikum...


Zusatzzeit:

1995 wurde auch die erste von 4 „Zusatzzeiten“ gezeigt. Die ersten drei waren öffentlich am Bühneneingang am Rathaus in Bocholt zu sehen. Zu einer ungewohnten Zeit: Um 24 Uhr begannen die Aufführungen, anläßlich der Zeitumstellung: Die „gewonnene Stunde“ sollte theatralisch genutzt werden. So drehte sich inhaltlich auch alles um das Werden und Vergehen auf dieser unserer Welt. „Von der Entstehung der Welt und der Zeit“ von Platon bis hin zu „Wie ein Auto funktionierte“ von Alf Poss reichte der Bogen, den die Gruppe vor einem begeisterten Publikum spann. Die letzte Zusatzzeit war im Bühnenhaus zu sehen, besonders eindrucksvoll war die Vision der versinkenden Köpfe von Marx, Engels und Lenin unter einer riesigen Sanduhr, die sich langsam entlehrte und die Köpfe unter sich begrub.

In 1996 verwirklichte die Gruppe eine weitere Vision:

























Plakate „Zusatzzeit“


Die Figurinen


Hierbei handelt es sich nicht um Zeichnungen oder Entwürfe von Arnold Schoenberg oder Hans Bellmer, sondern um Menschen, die Entwürfe einer Figur zeigen, die aus einer abstrahierten Realität in unserer Wirklichkeit zu Gast scheinen. Diese Figurinen der Bocholter Bühne sind gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen im Raum Bocholt und werden häufig eingeladen: Der Mann, der versucht sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um seinen Schlafsack auszubreiten und zu schlafen. Die Frau, die magisch von allem Glitzernden angezogen wird und vorsichtig versucht das Schmuckstück oder den Wassertropfen zu berühren. Die neurotische Putzfrau, die immer versucht alles sauber zu halten - bei Empfängen jeder Couleur ein schwieriges Unterfangen! Der Nichtsnutz, der sich bei

Figurinen outdoor  9.7.2009

anderen ihrer Speisen und Getränke bedient. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen, wir zählen bis dato ca. 35 Figurinen. Und der Name ist Programm: Die Interaktion wird auf den non-verbalen Bereich reduziert. Die Personen nehmen untereinander keinen Kontakt auf und agieren selbstständig, ein jeder mit seinem Thema beschäftigt: Eine einzigartige Projektionsfläche für den Betrachter, der eigene Wünsche und Gefühle und auch seine Kommunikationsstrategien überprüfen muss, um Kontakt aufzunehmen.(Bild)

  In 1996 wurde schließlich eines der von der Bühne meist gespielten Stücke realisiert: „Under Milkwood“ von Dylan Thomas. Das Stück wurde unter anderem ausgewählt, weil es Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und Berufen zeigte, mit Gebrechen, Ticks und Allüren, eben aus dem „richtigen Leben“ entlehnt und dem Grunde nach wie die Zusammensetzung der Bocholter Bühne: Der Psychologe und die Tänzerin, die Blumenfachverkäuferin, die Studentin, die Bankangestellte und der Journalist, der Rentner und die Hausfrau und einige damals noch junge Schüler. Ein Blick in diesen „einen einzigen Tag“ war das Spektrum, das sich den einheimischen Spielern und Zuschauern entrollte: Hier gab es Tratsch, Gerüchte und Vermutungen, Einzelschicksale mit Wehmut und Trauer, Hoffnungsvolles Liegen im Gras in der Hoffnung auch einmal Lieben zu dürfen. Kurz: alles genauso wie in jeder kleinen und auch größeren Stadt dieser Erde.


Wenn Shakespeare seinen Jacques sagen lässt: „Die ganze Welt ist eine Bühne und wir darauf sind die Spieler“, so könnte man meinen, er hätte den Milchwald gesehen. So wurde er denn auch allerorten gezeigt und war lange Jahre das Aushängeschild der Truppe: Auf Baltrum, im Heckentheater in Kattenvenne und in Vreden waren wohl die stimmungsvollsten Athmosphären zu spüren. Der „Kick“, den die SpielerInnen verspüren, wenn ein „Abstecher“ (thetral. Umgangssprache für „Auswärtsspiele“) gemacht  wird, treibt sie immer zu Höchstleistungen und die Outdoor-Auftritte sind immer etwas ganz besonderes.

Eintrittskarte 6.6.1996




Seit 1996 war jedes Jahr am zweiten Weihnachtstag eine Lesung zu hören, die sich mit „Weihnachten“ beschäftigt. Am Stamm aufgehängte Tannenbäume ragen ins Bild, auf der Bühne sitzen, liegen und stehen die Akteure, ein Geruch von Weihnachtszimt und Mandelgebäck zieht durch die Luft und man nimmt sich Zeit und Ruhe zu lauschen. Drei Jahre lang lasen die Akteure dieselben Texte, dann begann sich die Form zu verändern, neue Texte kamen hinzu, doch bei alledem dachte man nicht an das Publikum. Dieses schätzt durchaus in dieser regressiven Jahreszeit die Tradition und will das altbekannte noch einmal hören. Und so kehrt die Truppe im Jahre 2005 wieder zu den ersten Texten zurück.

Weihnachtslesung  26.12.1999  



In der Zwischenzeit gab es unzählige Auftritte der Bocholter Bühne. Eine Eigenproduktion unter dem Titel „Küsse und Schläge“ mit choreographischen Elementen wurde kurzerhand zur Eröffnung der Bühnensaison eingeschoben, es folgten: Ravardiparty, Kunstmarkt, VHS, Stadtsparkasse, Volksbank, Büchermarkt, Jugendkulturtage u.v.a.m., bevor sich die Gruppe aufmachte ein Kindertheaterstück aus den 60ern zu realisieren. „Der Sängerkrieg der Heidehasen“ von J.Krüss. In einer eigenen Adaption des Werkes wurde gesungen, gespielt und viel gelacht - allein die Kostüme sorgen noch immer für großes Amusement. Die Bühne wurde, wie beim Milchwald auch, von Philip Küper gebaut: Eine große Drehbühne mit drei Unterteilungen, die Palast, Festwiese und Schlafgemach darstellen. Seit 1997 sind diese „Meistersinger“ aus Bocholt nicht mehr hinweg zu denken. Die Zuschauer selbst kommen verkleidet als Hasen. Sie schwenken Schilder, essen Möhren und singen sogar mit, wenn der Hase seine Häsin endlich zum guten Schluss bekommt: Schöner kann sich kein Mensch lebendiges Theater wünschen. (Bild)

Und auch die Öffentlichkeit nahm das wahr: Am 12. Mai 1998 überreichte die damalige Bürgermeisterin Christel Feldhaar dem Regisseur Ralf Melzow, stellvertretend für die Bocholter Bühne, die Urkunde über den ersten Preis beim ersten Bocholter Kleinkunstpreis. Auf der Urkunde ist zu lesen: „Die Jury sieht in der Bocholter Bühne eine Initiative, die literarisch und szenisch anspruchsvoll Ideen und Themen auf hohem schauspielerischen Niveau vorstellt. Die kulturellen Erlebnisaktionen mit der Bocholter Bühne sind ein wichtiger Beitrag zur Bocholter Theaterszene.“

Ein großer Erfolg für alle Beteiligten. Alle hatten das Gefühl, gesehen, ja endlich ernsthaft wahrgenommen zu werden.

Damit es aber noch lebendiger würde, probte man einige Zeit an Improvisationen, bevor man 1998 das erste Bocholter Improvisationsmatch durchführte. Hier durften die Zuschauer sich Berufe, emotionale Haltungen und Spielorte ausdenken - die Mimen setzten alles um. Die Authentizität vor Publikum Szenen life zu entwickeln, hat einen besonderen Charme und das Publikum liebt die Akteure genau dafür.

So verwundert es nicht, dass das „Impromatch“ eine der bestbesuchten Veranstaltungen in Bocholt ist und das jeden Monat am ersten Sonntag einmal. (Bild)

Damals jedoch wurde es von der Gruppe als einmaliges Ereignis gesehen und die Spieler wollten sich entwickeln und ihre theatralische Reifeprüfung endlich ablegen. Und weil das Altern auch vor keiner noch so lebendigen Theatergruppe haltmacht, suchte man sich ein heikles Thema für die nächste große Inszenierung: Krebs, Krankheit und Tod aus George Taboris` „25. Stunde“. Ein artifizielles Bühnenbild in Form von weißen Kästen, die einmal Bank das andere Mal Tresen oder Fenster waren, eingerahmt von zwei metallenen Säulen. Im Pannemanntreff musste quer gespielt werden, um die Bühne unter zu bringen. Leider kam so die Künstlichkeit der Athmosphäre kaum zur Geltung und war in nichts mit der Premiere im Bühnenhaus zu vergleichen. So wurde die Gruppe unzufrieden mit ihren Präsentationsmöglichkeiten im Pannemanntreff in Lowick.

Zeitgleich waren in Bocholt auch andere Initiativen unzufrieden mit ihren Spielorten oder Probenmöglichkeiten. Ein Zusammenschluss dieser Gruppierungen gab es nie, aber es gab von Seiten der Stadtverwaltung und der Politik eine große Initiative sich diesem Problem zu widmen. Das war der Anfang unzähliger Rundfahrten und Besichtigungstouren durch Bocholt - immer auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. Leider waren diese lange nicht von Erfolg gekrönt und kein Mensch glaubte noch an diesen, als schließlich, für alle Beteiligten überraschend, der Ruf von Herrn Ketteler aus dem Kulturamt kam: „Könnten wir gemeinsam eine Besichtigung vornehmen? Ich glaube, ich habe ein interessantes Objekt für Sie!“

Von da an ging alles ganz schnell, zwei Vereine wurde gegründet und kurze Zeit später bezog die Bocholter Bühne die Räumlichkeiten in der Alten Molkerei. Für die Aufnahme in den Förderverein der Bocholter Bühne e.V. möge sich der interessierte Leser bitte an Jochen Freund wenden.

Als Beitrag für die drei Tage währenden Festivitäten wählte der Regisseur erstmalig ein Zweipersonenstück aus, das unabhängig von den normalen Probenzeiten einstudiert wurde. Helene Krüger und Stefan Pschenny spielten die „Love Letters“ von A.R.Gurney. Die beste Werbung für das Stück war das Publikum selbst: „Das musst Du Dir ansehen! Schööön!Aber nimm Taschentücher mit!“ Diese szenische Lesung war die logische Folge anderer Lesungen: Angefangen mit der schon erwähnten Weihnachtslesung, über die erotischen Sonetten von Bertolt Brecht erprobte sich die Gruppe an Texten, lernte Textgestaltung und „besseres“ Sprechen. Erprobt wurde dies an der „Landschaft mit Figuren“ nach Hildesheimer - einer Allegorie über Glaube und Kunst. Hier zeigten sich die Grenzen der SpielerInnen und auch des Publikums. Das Stück war in seiner Textlastigkeit sehr schwer zu vermitteln und auch das wunderschöne Bühnenbild konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass das Publikum in Bocholt anderes Theater sehen wollte. Die Konsequenz war die umjubelte Inszenierung von „Leonce und Lena“ von Georg Büchner. Die Gäste kamen sogar aus dem Rheinland angereist.

So brachte ein Klassiker das Theaterpublikum zurück, das mit dem „Casanova“ in 2004 endgültig versöhnt wurde und die Ausflüge der Vorzeit vergessen machte. „Das wir so eine Qualität in Bocholt sehen können,“ lautete der Kommentar zweier Ehepaare und ich denke, das ist das schönste Kompliment, das die „Bocholter Bühne“ je bekommen hat und an Bocholt zurückgegeben werden darf: „Es ist schön, dass wir in Bocholt spielen dürfen!“

Unser Publikum ist eben so unterschiedlich wie das Angebot selbst: Beim Impromatch sitzen andere Menschen als bei den Lesungen und wieder andere sind in den Inszenierungen zu sehen. Und so hat jede Sparte ihr eigenes Stammpublikum.  Als dann eine kleine Produktion mit drei Männern unter dem Titel „Die Weihnachtsgeschichte“ von und nach einer Idee von Ralf Melzow beim Publikum sowie in der Medienwelt einschlug und ganz Bocholt in Bewegung versetzte, wurde das gespaltene Publikum geeint und dieser Erfolg lässt hoffen, dass auch diese Geschichte alljährlich zu sehen sein wird. (Bild)

Doch wie geht es weiter mit diesen ehemals unerfahrenen SpielerInnen? Einige haben Bocholt verlassen und kehren nur zu Aufführungen zurück, versuchen auf verschiedenen Wegen Kontakt zu halten und doch ihre eigenen zu gehen, sie heiraten und ein anderer Alltag hält Einzug. Jedoch die Fluktuation ist gering.

Seit elf Jahren arbeiten wir nun gemeinsam: Manchmal, wenn der Stress alle übermannt, gestritten, geweint und gelacht wird, in solchen Augenblicken, da fragt man sich schon einmal: Wofür diese Aufopferungen? Es ginge doch alles bequemer. Aber das Theater ist als Spiegel der Welt keine kommode Religion. Und der Theater-Bazillus, der alle infiziert hat, lässt schwer denken, dass einmal das Ende kommen muss. Und so sorgt die Gruppe vor, dass geschulte SpielerInnen nachwachsen, die Lücke nicht allzugroß wird und sorgt sich liebevoll um die Kleinen der Bocholter Bühne: zärtlich „Bobbies“ genannt (Die Großen nennen sich gern Bobs!) und ebenfalls infiziert.

Nicht mit der fälschlich oftmals attestierten exhibitionistischen Ader der Schauspieler, sondern beseelt von dem einen Wunsch: Etwas gemeinsam zu machen, zu unternehmen, sich zu ärgern, Gruppenprozesse zu erkennen, sich in der Selbstwahrnehmung zu üben und zu behaupten, wie sich unter zu ordnen, usw.

Sie sind zwischen 12 und 16 Jahren alt, bemühen sich um Verbindlichkeiten in ihrem abwechslungsreichen schulischen Leben und arbeiten seit 2Jahren gemeinsam. Eine Landesarbeitsgemeinschaft aus Bochum hat den Antrag des Regisseurs Melzow unterstützt und auch die Stadt Bocholt hat den notwendigen Eigenanteil bereitgestellt. Und außer dem Alter und der damit verbundenen Erfahrung trennt sie nichts von den Großen: 

  Sie üben sich letztendlich alle in der Kommunikation - in der Überprüfung in ihrer Sicht von der Welt. Eine Form der gesellschaftlich- kulturellen Bidung und Erziehung, von der alle partizipieren: Angefangen bei den Spielern, über die Eltern und die nächsten Kontakte bis hin zu den Schul- und Arbeitsstätten und dem (gesellschaftlichen) Leben in einer Stadt.  Und vor alledem: All das in einem geschützten Raum auszuprobieren, der von Sanktionen frei ist, in dem der Einzelne sich entfalten kann, wie er/sie es niemals in der „normalen“ Umgebung könnte. Weil Mensch sich nicht traut, weil Etiquette und Anstand vieles verhindern, was vielleicht manchmal gesagt werden müsste aber nicht darf. Die Bühne lässt genau das zu, ja fordert es geradezu heraus.  Dieses gemeinschaftliche Handeln steht im Vordergrund, und da ist es für die Gruppe ganz gleich, ob die Bocholter Bühne „Das Hotel“ nach einer Idee von R.Melzow oder in 2006 „Macbeth“ in der Übersetzung von Schiller spielt.  Es geht ihnen um die Bühne, den Bühnenraum und der damit verbundenen Dialektik von Publikum und Bühne, der Interaktion zwischen den Spielern und den damit verbundenen Personen und  zum Schluss:  Hier geschieht alles Life. Echte Menschen, die jeden Abend vor ihrem Auftritt versuchen müssen ihre physische und psychische Konsistenz so herzustellen, das sie in der Lage sind „gut“ zu spielen: Schließlich handelt es sich in unserem Theater um „wahre“ Gefühle. Abziehbilder hat unsere Gesellschaft schon genug. Toi, toi, toi!

Fundstück aus dem Jahr `98